Smartes Materialdesign gegen Plastikflut

Wissenschaftler plädieren beim Materialdesign von Kunststoffen, deren Abbaubarkeit mitzudenken.
Angeschwemmte Plastik-Fragmente und Mikroplastik aus der Arktis.
Foto: Alfred-Wegener-Institut/Melanie Bergmann
15.04.2025

Seit Jahren können sich die 200 UN-Mitgliedsstaaten nicht auf ein verbindliches Abkommen im Kampf gegen Plastikmüll einigen. Umweltwissenschaftler haben die Initiative ergriffen und plädieren für präventive Materialinnovationen. Sie setzen auf das EU-Konzept des „Safe and Sustainable by Design“ (SSbD), das die biologische Abbaubarkeit bereits im Moleküldesign verankert.

In den vergangenen 70 Jahren ist die Menge der weltweit produzierten Kunststoffe auf rund 400 Millionen Tonnen im Jahr 2022 gestiegen (Statista, 2024). Schätzungsweise drei bis fünf Prozent davon landen in der Umwelt und bedrohen damit Ökosysteme und die Artenvielfalt darstellen.

Denn Plastik hat einen gravierenden Nachteil: Es zerfällt in Mikro- und Nanopartikel und wird nicht weiter abgebaut.

„Selbst bei sofortigen und konzertierten Maßnahmen zur Verringerung des Verbrauchs werden bis 2040 kumulativ mehr als 700 Millionen Tonnen Kunststoffabfälle in die aquatischen und terrestrischen Ökosysteme gelangen“, stellen die Wissenschaftler des Leibniz-Zentrums für Marine Tropenforschung (ZMT) in ihrer Studie fest.

Knappe Entsorgungskapazitäten

Dabei haben sie bestehende Abfallmanagementkonzepte inklusive technologischer Ansätze analysiert. Selbst wenn die Entsorgungssysteme verbessert würden, so ihre Schlussfolgerung, reichten deren Kapazitäten weltweit nicht aus, um die enormen Mengen an Kunststoffen zu bewältigen, die in die Umwelt gelangen. „Für Kunststoffe, die Hunderte von Jahren in der Umwelt überdauern können, sogenannte ,ewigeʿ Kunststoffe, ist eine Lösung erforderlich“, meinen die Umweltwissenschaftler des ZMT.

Ihr Lösung sieht vor, bereits bei der Auswahl der Chemikalien bzw. der Materialien anzusetzen und biologisch abbaubare Kunststoffe zu entwickeln. Kern ist das von der EU vorgesehene Konzept des ‚Safe and Sustainable by Design‘ (SSbD), dass die EU-Kommission für ihr damaliges Green-Deal-Projekt (2019) vorgeschlagen hat. Dieses biete Innovationspotenzial und könne eine ergänzende Strategie zur Bewältigung des Meeresmülls darstellen.

Systemischer Ansatz

SSbD adressiert das gesamte System. Es sieht folgendes vor:

  1. Die biologische Abbaubarkeit ist bereits im Moleküldesign verankert. Das bedeutet, dass die Kunststoffe in ungefährliche Bestandteile zerfallen.
  2. Der gesamte Lebenszyklus (Produktion → Abbau) ist optimiert. Das bedeutet auch, dass sich die Produkte bzw. deren Materialien auch für Wiederverwendung bzw. Aufbereitung eignen müssen.
  3. Prioritäre Anwendungsbereiche sind
    • Mikroplastik in Kosmetika, Reinigern, Putztüchern, Schwämmen…
    • Verpackungen für Saatgut-, Düngemittelverpackungen…
    • Textilien, Fischernetze, Baumaterialien, Lace, Dichtungen…
    • Lebensmittelverpackungen, Einwegartikel…

Die Industrie hat bereits in den 1970er und -80er Jahren auf biologische Abbaubarkeit gesetzt, ist aber gescheitert. Der konzeptionelle Fehler lag nach Ansicht der Forscher darin, auf Polymere als „ewigen Kunststoffe“ zu setzen und diese ohne Validierung durch Abbaubarkeitstests auf den Markt zu bringen und als Lösung des Problems zu kommunizieren.

Später kamen natürliche Polymere wie Proteine, Polysaccharide oder Naturkautschuk, die überdauern können, aber nach Jahrzehnten in Zucker zerfallen. Das ist zwar ein Fortschritt, meinen die Autoren, aber der Anteil dieser natürlichen Polymere liegt nur bei rund 0,5 Prozent aller Kunststoffe.

Ohne Additive

Die „Kunststoffe der dritten Generation“ sollten nach Ansicht der Studienautoren biologisch abbaubar sein und daher folgende Bedingungen erfüllen:

  • Marine Abbaubarkeit unter realen Bedingungen (Salzwasser, UV-Strahlung)
  • Toxizitätsfreiheit ohne persistente Additive
  • Kaskadennutzung vor Abbau (Mehrfachrecycling)

Die Autoren erwarten sich von „Safe and Sustainable by Design“, dass zukünftige Innovationen von Anfang an sicher für Gesundheit und Umwelt sind. Gleichzeitig würden sie langfristig ökologische, ökonomische und soziale Vorteile bieten.

Kritisch bleibt ihrer Ansicht nach die Skalierbarkeit: Während konventionelle Biokunststoffe oft nur unter industriellen Kompostbedingungen abbaubar sind, erfordern marine Lösungen komplexe Materialformeln. Die Forscher betonen daher die Dringlichkeit, bis zur nächsten UN-Verhandlungsrunde im August 2025 in Genf praxistaugliche Prototypen vorzulegen.

Dieser systemische Ansatz, so die Hoffnung, könnte die Plastikkrise eindämmen und langfristig in eine echte Kreislaufwirtschaft überführen – vorausgesetzt, Industrie und Politik setzen die Erkenntnisse konsequent um.

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