Neandertaler jagt vor 125.000 Jahren die Riesen der europäischen Wälder.
Die Erstautorin der Studie Sabine Gaudzinski-Windheuser steht neben der lebensgroßen Rekonstruktion eines erwachsenen männlichen Europäischen Waldelefanten im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle.
Foto Lutz Kindler/LEIZA

Neandertaler organisierte Großwildjagd

15.02.2023

Mit einem Gewicht von 13 Tonnen war der Europäische Waldelefant das größte Landtier der Eiszeit. Laut einer Studie zeigen Skelettfunde bei Halle, dass die Neandertaler die ersten Menschen waren, die Waldelefanten organisiert gejagt haben. Die Forscher schließen, dass die Frühmenschen zeitweise in großen Verbänden zusammenlebten und die Beute verarbeiteten. Von einem zehn Tonnen schweren Tier konnten sich bis zu 150 Menschen einen Monat lang ernähren.

Vor rund 125.000 Jahren jagten Neandertaler den inzwischen ausgestorbenen Giganten, um sich von seinem Fleisch und Fettpolstern zu ernähren, berichtet das Forschungsteam der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU), des Leibniz-Zentrums für Archäologie (LEIZA) und der Universität Leiden (Niederlanden) in seiner neuen Studie.

Dabei hat das Team Elefantenknochen untersucht, die in den 1980er und 1990er Jahren in einer Braunkohlegrube in Neumark-Nord bei Halle entdeckt wurden. Auffällig war nicht nur, dass es sich ausschließlich um erwachsene männliche Tiere handelte, sondern dass die Elefantenknochen eindeutige Schnittspuren aufwiesen. Dieser Umstand gab den Anstoß, mehr als 3000 Überreste systematisch zu untersuchen. Dabei stießen die Forscher auf die gleichen Schnittspuren und schlossen daraus, dass die Neandertaler gemeinschaftlich gejagt haben.

Essen für einen Monat

Es ist bekannt, dass ausgewachsene männliche Elefanten alleine leben, im Gegensatz zu deren weiblichen Verwandten und den Nachkommen. Das gab den Neandertalern einen Vorteil bei der Jagd, da sie sich auf ein Tier konzentrieren konnten. Allein die Stoßzähne von Palaeoloxodon antiquus, der vor 800.000 bis vor 100.000 Jahren in Europa und Westasien lebte, waren vier Meter lang. Die männlichen Exemplare des Europäischen Waldelefanten wogen 13 Tonnen und waren mit einer Schulterhöhe von über vier Metern drei Mal so groß wie heutige Asiatische Elefanten.

„Wir gehen davon aus, dass eine typische Neandertalergruppe von 25 Personen, inklusive Kinder und Jugendliche durchaus einen Elefanten erlegen konnten. Auch die Schlachtung kann von wenigen Personen innerhalb von Tagen geschehen. Die Menge an Nahrung, also die Tagesportionen von einem einzigen Elefanten, kann allerdings nicht von einer solchen kleinen Gruppe konsumiert werden. Unsere Berechnungen legen nahe, daß sich 100-150 Personen gut einen Monat von einem Elefanten ernähren konnten“, berichtet der Wissenschaftler Lutz Kindler vom Leibniz-Zentrum für Archäologie LEIZA.

Ein zehn Tonnen schwerer Elefant, berechnete die Forschergruppe, ergibt mindestens 2500 Portionen aus Eiweiß und Fett für erwachsene Neandertaler mit jeweils 4000 Kilokalorien Energie.

Kooperation von Gruppen

Nicht nur dieser Umstand ist bemerkenswert. „Dies ist der erste eindeutige Beweis für die Elefantenjagd in der menschlichen Evolution“, kommentiert der beteiligte Forscher Wil Roebroeks von der Universität Leiden die Ergebnisse. Die Jagd auf die eiszeitlichen Riesen an diesem Ort habe dazu beigetragen, die Existenz der Neandertaler zu sichern – und zwar mindestens 2000 Jahre lang über Dutzende von Generationen hinweg.

Nach Einschätzung des Forschungsteams, haben die beteiligten Gruppenmitglieder nicht nur bei der Jagd eng zusammengearbeitet, sondern auch bei der Verarbeitung der Beute: „Die Tiere mussten geschlachtet werden, Fleischreste waren von den langen Knochen abzulösen und die fettreichen Fußpolster zu entfernen. Zur Verarbeitung gehörte möglicherweise auch das Konservieren und die Langzeitlagerung“, meint Lutz Kindler.

Für die Forscher ist klar, dass die Neandertaler zumindest zeitweise in viel größeren Gemeinschaften zusammenkamen oder dass sie über kulturelle Mittel zur Konservierung und Lagerung von Nahrungsmitteln in großem Maßstab verfügten – oder beides.

Es gibt aber noch weitere Aspekte, die Lutz Kindler brennend interessieren: beispielsweise das Sozialverhalten. „Warum kamen die Gruppen zusammen, um Nahrung zu teilen? Sicher, um sich auszutauschen. Oder waren die Zusammenkünfte auch als Heiratsmarkt für den Austausch des Genpools gedacht? Und sicher ging es auch um Prestige und Status“, spekuliert der Archäologe.

Die Geschichte des Frühmenschen bietet noch viele spannende Kapitel.

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