Archäologie: digitale Methoden für antikes Puzzle
15.05.2024
Österreichische Archäologen und Informatiker bitten Puzzlefans um Hilfe: Auf Basis des neu geschaffenen Computerspiels „Open Reassembly“ sollen die Nutzer die digitalisierten Bruchstücke einer antiken Altarplatte zusammensetzen. An diesem geometrisch-kombinatorischen Problem beißen sich die Altertumsforscher seit mehr als 70 Jahren die Zähne aus.
Die Bruchstücke stammen aus der vor 1500 Jahren erbauten Bischofskirche in Lavant (Bezirk Lienz). Sie zählt zu den bedeutendsten frühchristlichen Kirchenbauten Österreichs. Heute sind nur noch wenige Reste erhalten. Dazu gehört die Altarplatte, deren Fragmente in den 1950er Jahren ausgegraben wurden. Seitdem bemühen sich Generationen von Archäologen, die über 130 Einzelteile wieder zu einem großen Ganzen zusammenzufügen.
Die Fragmente sind jedoch stark erodiert, und auch ihre Oberfläche hat sich im Lauf der Jahrhunderte abgeschliffen. Bei einem klassischen Legespiel können die Puzzleteile einfach auf einen Karton gelegt werden. Anders verhält es sich bei einer Altarplatte aus Marmor: Je mehr Steine zusammengesetzt werden, desto schwerer wird sie. In ihrer ursprünglichen Form dürfte sie mehrere hundert Kilogramm wiegen. Deshalb wird es immer schwieriger, einzelne Steine zu drehen oder an anderer Stelle zu positionieren, je mehr Teile miteinander miteinander verbunden sind.
Virtuelle Bruchstücke
Was liegt näher, als die Öffentlichkeit um Hilfe zu bitten? Allerdings sind die wertvollen Fundstücke aus konservatorischen Gründen nicht öffentlich zugänglich. Deshalb digitalisierten die Archäologen zunächst die Einzelteile. „Pro Fragment haben wir rund 100 Fotos aus unterschiedlichen Perspektiven aufgenommen und diese mit geometrischen Daten aus Messungen eines Streiflichtscanners kombiniert“, erläutert Stephan Karl vom Institut für Antike der Universität Graz.
Im zweiten Schritt haben die Wissenschaftler mit ihren Kollegen vom Institut für Computer Graphik und Wissensvisualisierung der TU Graz die Internetplattform „Open Reassembly“ entwickelt. In diesem Computerspiel können die Nutzer die digitalisierten Artefakte gemeinsam zusammensetzen. Dazu ist keine Registrierung notwendig, nur ein Browser. Ein Algorithmus teilt die Spieler per Zufallsprinzip in Spielräume auf. Dort „liegen“ die virtuelle Steine auf einem Tisch und können mit der Maus angeklickt und gedreht werden. Die Mitspieler haben die Möglichkeit, die Verbindungen zu bewerten – oder auch zu lösen. Das Computerspiel ist so programmiert, dass es auch passende Vorschläge macht.
Kombinatorisches Problem
Bei dem Projekt geht es den Wissenschaftlern nicht nur darum, die frühchristliche Altarplatte zusammenzusetzen, sondern auch das Verhalten der Spieler zu erforschen: Wie interagieren sie, wie schnell finden sie eine Lösung? Tragen die angebotenen Hilfsmittel überhaupt zur Lösung bei?
„Das Spannende an diesem Projekt ist seine Komplexität. Denn es handelt sich um kombinatorisches, geometrisches und zugleich auch unterdefiniertes Problem. Es gibt keine Inschriften, keine Farben, keine Gravuren. Außerdem fehlen einige Fragmente und die Verbindungen zwischen den Steinen sind durch die Erosion nicht eindeutig. Daher können selbst auf solche Objekte spezialisierte Computeralgorithmen dieses Puzzle nicht zuverlässig lösen“, beschreibt Reinhold Reiner, mitbeteiligter Informatiker der TU Graz, die Herausforderung.
Für solch ganzheitlichen Probleme kommen laut Preiner am ehesten Algorithmen aus der Optimierungstheorie in Frage, die sich in kleinen, inkrementellen Schritten einer Lösung nähern. KI-Systeme dagegen seien sehr gut darin, einfache, bekannte Teilprobleme zu lösen. Das antike Puzzle sei ein komplexes, großes Ganzes. Hier stießen KI-Methoden (noch) an ihre Grenzen. Großes Potenzial biete die Schwarmintelligenz: ein Ansatz, bei dem eine Gruppe von Individuen, in diesem Fall viele Menschen, miteinander interagiert und gemeinsam eine Lösung findet.
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